Gewichtsdiskriminierung und Stigmatisierung bei Adipositas 

Gewichtsdiskriminierung und Stigmatisierung bei Adipositas sind keine Seltenheit. In unserem Artikel findest du spannende Infos zur Verbreitung von Adipositas-Diskriminierung und laufenden Aktionen, um mit Vorurteilen aufzuräumen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Stigmatisierung? 

Obwohl Adipositas an und für sich bereits eine große gesundheitliche Belastung darstellen kann, sind viele Personen mit Adipositas von zusätzlicher massiver Ausgrenzung und dem sogenannten Fat Shaming betroffen. Dabei sind die Vorurteile unbegründet und haben zur Folge, dass die psychische Last den gesundheitlichen Zustand vieler Betroffener zusätzlich verschlimmert.

Stigmatisierung leitet sich vom griechischen Wort Stigma ab. Übersetzt bedeutet es so viel wie „Wundmal“, „Zeichen“ oder „Stich“. Das kennen wir beispielsweise von den Stigmata Jesu Christi durch die Kreuzigung. In der Sozialpsychologie wird darunter einen Prozess, der Menschen oder Gruppierungen aufgrund bestimmter Merkmale (wie Übergewicht) in Kategorien einordnet, verstanden [1]. 

Diese Kategorien können sich auch auf die Hautfarbe oder die Religion beziehen. Solche Merkmale werden auch heut noch oft als “anders” betrachtet – und können in der Folge zu einer Ungleichbehandlung oder Benachteiligung führen. Im juristischen Sinne handelt es sich dann um Diskriminierung [2]. 

Fat Shaming – Definition und Erscheinungsformen 

Fat Shaming ist ein moderner Begriff für die Stigmatisierung bei Adipositas. Er leitet sich aus den englischen Wörtern für „Fett“ und „Beschämen“ ab. Diskriminierung im Sinne des Fat Shamings kann sich besonders bei jungen Menschen in Mobbing oder anderen Formen der Ausgrenzung äußern [3]. Der „Hate“ (Hass) gegen Menschen mit Übergewicht beschränkt sich aber nicht nur auf den Pausenhof. 

Mit Fat Shaming ist eine ganze Reihe negativer Vorurteile verbunden, die auch Erwachsene jeder Altersgruppe treffen können. Stereotype Vorstellungen wie „Ich bin faul“ oder „Ich bin allein schuld“ können von Betroffenen verinnerlicht werden. Das heißt, dass sie irgendwann selbst von den Vorurteilen überzeugt sind. Dieser Prozess wird als Selbststigmatisierung bezeichnet und kann zu einem Teufelskreis führen, welcher eine Gewichts- und Lebensstiländerung zunehmend erschwert.

Diskriminierung von Menschen mit Adipositas durch das Gesundheitssystem 

Menschen mit Adipositas sind in vielen wichtigen Lebensbereichen den Formen sozialer Diskriminierung ausgesetzt [4]. Das betrifft auch das Gesundheitswesen. Hier kommt es – wie in der übrigen Gesellschaft – regelmäßig zu Abwertungen und Benachteiligung [5]. Insbesondere Frauen leiden häufig unter der Stigmatisierung im Zusammenhang mit ihrem erhöhten Gewicht. 

Je höher das Gewicht, desto intensiver sind oft die Stigmatisierungserfahrungen. Die Betroffenen werden auch im Gesundheitswesen mit Vorurteilen wie Trägheit, Faulheit, Unattraktivität oder Leistungsverweigerung konfrontiert [6]. Das kann dazu führen, dass diesen Patient:innen bei der Bewältigung gesundheitlicher Einschränkungen nicht bedarfsgerecht und angemessen geholfen wird, vielmehr werden die körperlichen Leiden ausschließlich auf das erhöhte Körperfett reduziert.

Therapie zielt oft nur auf das Abnehmen

Viele Programme und Therapieangebote beschränken sich lediglich auf das Thema Abnehmen, ohne dass auf die spezifischen Bedürfnisse der Betroffenen eingegangen wird. Dabei ist Adipositas ein sehr komplexes und individuelles Zustandsbild. Die Ursachen sind sehr unterschiedlich, sodass ein Therapieplan maßgeschneidert passen muss. 

Adipositas und Übergewicht kann vielfältige Gründe haben. [7]

Gründe für Adipositas

  • Einschränkungen des endokrinen Systems (z. B. Schilddrüsenunterfunktion) 
  • Hormonelles Ungleichgewicht und Hormonstörungen (z. B. nach der Schwangerschaft) 
  • Einnahme verschreibungspflichtiger Medikamente (z. B. Psychopharmaka) 
  • Psychosoziale Faktoren (z. B. Depressionen, Stress, Essstörungen) 
  • Genetische Ursachen (z. B. Prädisposition, Mutation des Melanokortin-4-Rezeptors)

Stigmatisierung durch Medien 

In den Medien wie Fernsehen oder auf Social Media-Kanälen werden Menschen mit Adipositas oft vorgeführt und diskriminiert. Ihnen wird dort mit Häme und Verachtung begegnet. Für Betroffene ist das allzu oft ein unerträglicher Leidenszustand, der zur Entstehung psychischer Erkrankungen beitragen kann [8]. 

Deswegen fordert die Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung die Aufnahme des Diskriminierungstatbestands „Gewicht“ ins Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Die Medien sind eine wichtige Informationsquelle für die Öffentlichkeit und haben eine große Bedeutung für das Verständnis von Adipositas in der Bevölkerung [9]. 

Für Interessierte, Journalist:innen und Medienschaffende wurde ein “Medienleitfaden Adipositas” unter Beteiligung der Universitätsmedizin Leipzig entworfen. Hierin sind Empfehlungen zum richtigen Umgang mit der Thematik Übergewicht und Adipositas zu finden. 

In dem Leitfaden werden zahlreiche Formen von Diskriminierung beschrieben. Diese können sich über folgende Lebensbereiche erstrecken [10]: 

  • Alltag: Zu kleine Sitze im Bus, ungebetene Ratschläge von Fremden 
  • Beruf und Schule: Probleme beim Erhalt des Beamtenstatus, Mobbing 
  • Zwischenmenschliche Beziehungen: Unberechtigte Kritik, Ausschluss von Freizeitbeschäftigungen wie Sport 
  • Gesundheitssystem: Mangelnde Gesundheitsversorgungsmöglichkeiten, geringere Behandlungszeit 

Du siehst: Selbst Dinge, die dir vielleicht „ganz normal“ erscheinen, erfüllen durchaus die Kriterien für Diskriminierung. Das Bild der Person mit Adipositas, die an ihrem Schicksal „selbst schuld“ ist, hat sich in Medien und der Gesellschaft massiv gefestigt. Um dieses zu lösen, braucht es flächendeckende Aufklärung. 

Folgen von Stigmatisierung und Fat Shaming 

Erfahrungen von Stigmatisierung und Diskriminierung aufgrund von Adipositas können dazu beitragen, dass das Gewicht aufrechterhalten wird [11]. Wer unter Fat Shaming und Vorurteilen leidet, zeigt oft ein entsprechendes Verhalten. So vermeiden Betroffene bestimmte Situationen, um sich dem Mobbing zu entziehen. Das kann beispielsweise eine Hemmschwelle beim Besuch eines Sportstudios sein. Oder sie nehmen, trotz gesundheitlicher Leiden, keine ärztliche Hilfe in Anspruch.

Verringerte Selbstwirksamkeit durch Stigmatisierung

Zudem besteht die Gefahr, dass sich Betroffene ihrem vermeintlichen Schicksal ergeben: Wer davon überzeugt ist, dass er:sie „faul“ und „träge“ ist, senkt das seine:ihre Selbstwirksamkeitserwartung. Mit Selbstwirksamkeit wird das Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit beschrieben. Wer über eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung verfügt, ist überzeugt, dass er seine Ziele erreichen kann. Eine niedrige Selbstwirksamkeit ist mit dem Gegenteil verbunden. 

Selbstwirksamkeitserwartung als Voraussetzung für Erfolge

In Studien konnte gezeigt werden, dass Menschen mit einer hohen Selbstwirksamkeit auch tatsächlich erfolgreicher sind. Dabei liegt der Clou darin, dass eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung nicht zwingend aus dem Erfolg resultiert – sondern die zwingende Voraussetzung dafür ist, dass dir etwas gelingt. 

Wenn du also von Anfang an davon überzeugt bist, dass du etwas „sowieso niemals schaffen wirst“, dann ist es auch sehr unwahrscheinlich, dass du Erfolge erzielst. Deswegen ist es bei Adipositas von herausragender Bedeutung, neben der Ernährungsumstellung und dem körperlichen Aktivitätslevel, auch die eigene Selbstwirksamkeitserwartung zu steigern. 

Anti-Stigmatisierungs-Programme 

Die Kampagne „SCHWERE[S]LOS“ beschäftigt sich intensiv mit dem Phänomen der Stigmatisierung von Adipositas und Diskriminierung bei Übergewicht. Sie räumt mit Vorurteilen und Pauschalisierungen auf und informiert über die Folgen von Fat Shaming. Im Rahmen der Aufklärungsaktion werden auch spannende Studien durchgeführt, die interessante Erkenntnisse zutage fördern. 

Dick und Du” ist eine Aktion der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Adipositas (BAG). Diese versteht sich als Stimme der in Deutschland an Adipositas Erkrankten. Die Kampagne zielt auf mehr Toleranz und Verständnis und klärt über Adipositas als chronische Krankheit auf, um Vorurteile zu beseitigen.

Mit “ADIPOSITAS IST EINE CHRONISCHE ERKRANKUNG” hat das Zentrum für Ernährungsmedizin und Prävention (ZEP) eine Videoclip-Aktion gestartet, bei der jede:r mitmachen kann. Per Handy nimmt jede:r Teilnehmer:in sich selbst auf, wie sie:er den Satz “Adipositas ist eine chronische Erkrankung” spricht. Die Clips werden in einem Gesamtvideo aneinandergereiht.

Politische Maßnahmen gegen Stigmatisierung 

Menschen mit stark erhöhtem Gewicht sind nicht nur im Alltag, sondern auch bei der Jobsuche benachteiligt. Sie haben auf dem Arbeitsmarkt wesentlich schlechtere Chancen als Personen mit BMI im Bereich des Normalgewichts, auch wenn die Qualifikation dieselbe ist [12]. Demnach ist das Thema auch politisch brisant. Leider ist es aktuell noch nicht so, dass diese offensichtliche Form gesamtgesellschaftlicher Benachteiligung auch in Gesetzen entsprechend gewürdigt werden (Stand: Oktober 2021). 

Bislang gibt es keine Möglichkeit, sich vor Gericht gegen Gewichtsdiskriminierung zu wehren, wenn es bei der Arbeit oder an anderer Stelle öffentlich zu Benachteiligungen aufgrund des Gewichts kommt [13]. Die einzige Ausnahme bildet die Anerkennung des Übergewichts als Behinderung. 

Quellen

[1] Stangl, Werner (2021). Stigmatisierung
[2] Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2017). Was ist rechtlich eine Diskriminierung? In: Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Hg.). Handbuch Diskriminierungsschutz. Niestetal, Silber Druck.
[3] DAK Gesundheit (2021). Fat Shaming – der Hate gegen die Kilos!
[4] Hilbert, Anja (2008). Soziale und psychosoziale Auswirkungen der Adipositas: Gewichtsbezogene Stigmatisierung und Diskriminierung. In: Stephan Herpertz (Hg.). Handbuch Essstörungen und Adipositas. Mit 21 Tabellen. Heidelberg, Springer Medizin, S. 288–291
[5]  Luck-Sikorski, Claudia/Bernard, Marie (2021). Stigmatisierung und Diskriminierung von Patient*innen mit Adipositas. Psychotherapeut (1), 28–34
[6] Kinzl, Johann F. (2016). Adipositas: Stigmatisierung, Diskrimination, Körperimage. Wiener Medizinische Wochenschrift 166 (3-4), 117–120
[7]  Zwaan, Martina de/Hilbert, Anja (2014). Entstehung und Persistenz einer Adipositas. CardioVasc 14 (3), 28–33;
Hebebrand, J./Bammann, K./Hinney, A. (2010). Genetische Ursachen der Adipositas. Zum Stand der Forschung. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 53 (7), 674–680
[8]  Müller, Roland (2013). Psychische Folgeprobleme der adipositas. Therapeutische Umschau. Revue therapeutique 70 (2), 87–91
[9]  Gerlach, Stefanie (2018). Medienleitfaden Adipositas. Empfehlungen zum Umgang mit Adipositas und Menschen mit Übergewicht in den Medien. DAG Medienleitfaden 2018. München, Leipzig
[10]  Gerlach, Stefanie (2018). Medienleitfaden Adipositas. Empfehlungen zum Umgang mit Adipositas und Menschen mit Übergewicht in den Medien. DAG Medienleitfaden 2018. München, Leipzig S. 8
[11]  Luck-Sikorski, Claudia/Bernard, Marie (2021). Stigmatisierung und Diskriminierung von Patient*innen mit Adipositas. Psychotherapeut (1), S. 28-34
[12]  Wahlkompass Antidiskriminierung (2021). Gewichtsdiskriminierung auf dem Arbeitsmarkt entgegenwirken | Bundestagswahl 2021
[13]  Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung (2020). Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung fordert Aufnahme eines Diskriminierungstatbestands „Gewicht“ ins Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Berlin, Pressemitteilung

Aktion Schwerelos (2021). Adipositas: Zahlen und Fakten

forsa Politik- und Sozialforschung GmbH (2016). XXL-Report. Meinungen und Einschätzungen zu Übergewicht und Fettleibigkeit

Klotter, Christoph/Depa, Julia/Humme, Svenja (2015). Die Kriegserklärung gegen Adipositas – eine mögliche Legitimation der Orthorexia nervosa. In: Christoph Klotter/Julia Depa/Svenja Humme (Hg.). Gesund, gesünder, Orthorexia nervosa. Modekrankheit oder Störungsbild? : eine wissenschaftliche Diskussion. Wiesbaden, Springer, 141–142.

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