Übergewicht als Behinderung im Beruf
Starkes Übergewicht, auch Adipositas genannt, gilt als eine der häufigsten Erkrankungen weltweit – mit steigender Tendenz. Je höher dabei der Body-Mass-Index (BMI) ist, desto stärker steigt das Risiko für Begleit- und Folgeerkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Arteriosklerose, Fettstoffwechselstörungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Dass Übergewicht nicht nur gesundheitlich, sondern auch arbeitsrechtlich relevant ist, zeigt eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 18.12.2014:
„Die Adipositas eines Arbeitnehmers kann eine Behinderung darstellen, wenn sie eine dauerhafte Einschränkung ist, die an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben hindert.“ [1]
Laut dem Europäischen Gerichtshof kann Adipositas somit unter bestimmten Umständen eine Behinderung im Sinne der Richtlinie über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sein. Hierzu stellte der EuGH vorab fest, dass der Begriff Behinderung so zu verstehen ist, dass er nicht nur die Unmöglichkeit erfasst, eine berufliche Tätigkeit auszuüben, sondern auch eine Beeinträchtigung der Ausübung einer solchen Tätigkeit. Wenn dies der Fall ist, dürfen stark übergewichtige Arbeitnehmer:innen nicht aufgrund ihres Übergewichts bei Einstellung, Beförderung oder Entlassung benachteiligt werden [2].
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Übergewicht und Stigma
Dieses Urteil zur rechtlichen Gleichbehandlung mit anderen Behinderungen ist wichtig für die Betroffenen. Auf ihnen lastet das Vorurteil, dass Übergewicht selbstverschuldet sei.
Leidest du an einer besonders schweren Verlaufsform der Adipositas wie z. B. der Adipositas permagna oder stark beeinträchtigenden Begleit- und Folgeerkrankungen? Dann kannst du einen Grad der Behinderung (GdB), auch Behindertenstatus genannt, beantragen. In gewissen Fällen wirst du als schwerbehindert eingestuft und erhältst einen Schwerbehindertenausweis.
Definition Behinderung und Schwerbehinderung
Eine Behinderung wird wie folgt definiert:
„Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.“ Solch eine Beeinträchtigung liegt vor, „wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.“ [3]
Was ist der Grad der Behinderung (GdB)?
Der Grad der Behinderung bezeichnet die Schwere der Behinderung und wird mit den Buchstaben GdB abgekürzt. Er variiert zwischen 20 und 100 und steht nicht, wie man denken könnte, für einen prozentualen Anteil.
Ab einem GdB von 50 gilt man als schwerbehindert und kann einen Schwerbehindertenausweis beantragen. Personen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber mindestens 30 sollen schwerbehinderten Personen gleichgestellt werden. [3]
Wie wird der GdB bestimmt?
Der Grad der Behinderung wird auf Antrag durch ärztliche Gutachter:innen festgestellt. Wenn zusätzlich zu der Adipositas permagna mehrere Begleit- oder Folgeerkrankungen vorliegen, wird ein Gesamt-Grad der Behinderung berechnet.
Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis
Neben dem GdB gibt es diverse Merkzeichen, die im Schwerbehindertenausweis vermerkt werden können. Sie definieren die Art der Behinderung und berechtigen teilweise zum Zugang zu erweiterten Nachteilsausgleichen. Für Adipositas-Betroffene kann unter bestimmten Umständen das Merkzeichen G vergeben werden. Es steht für erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr.
Weitere Merkzeichen sind:
- aG: außergewöhnliche Gehbehinderung wie z. B. bei einer Querschnittslähmung oder beinamputierte Menschen
- Bl: blind
- H: hilflos, steht für Personen, die dauerhaft auf fremde Hilfe angewiesen sind
- Gl: gehörlos
- RF: Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, wie z. B. bei taubblinden Personen
- 1. Kl: Betroffenen dürfen die 1. Klasse der öffentlichen Verkehrsmittel mit einem Fahrausweis der 2. Klasse nutzen
- B: berechtigt zur kostenlosen Mitnahme von Begleitpersonen in Verkehrsmitteln, wenn die Nutzung nur mit Begleitpersonen möglich ist.
- Kriegsgeschädigt: wenn Betroffene aufgrund von Kriegsverletzungen um mind. 50 % erwerbsunfähig sind
- VB: aufgrund von Schädigungsfolgen von mind. 50 % besteht eine Versorgungsberechtigung
- EB: aufgrund von Schädigungsfolgen von mind. 50 % besteht Anspruch auf eine Entschädigungsleistung nach dem Bundesentschädigungsgesetz
Warum einen Grad der Behinderung (GdB) bei Adipositas beantragen?
Personen mit einer anerkannten Behinderung können oft nicht voll verdienen. Durch ihre Erkrankung kämpfen sie aber meist mit Mehrkosten. Deshalb haben sie einen Anspruch auf sogenannte Nachteilsausgleiche. Diese können beispielsweise sein: [4]
- Sonderkündigungsschutz
- Sonderurlaub von 5 Tagen im Jahr
- Kinderbetreuungskosten
- frühzeitige Altersrente für Schwerbehinderte
- Freistellung von Mehrarbeit/Hilfen zum Erhalt bzw. zur Erlangung eines behindertengerechten Arbeitsplatzes
- Steuervergünstigungen wie der Steuerfreibetrag oder Befreiung von der Kfz-Steuer
- Parkausweis/unentgeltliche Beförderung in öffentlichen Verkehrsmitteln
- Bezug und evtl. Kostenübernahme von medizinischen Leistungen und Hilfsmitteln
- Reduktion von Mitgliedsbeiträgen, Rundfunkbeitrag oder von Eintrittspreisen wie z. B. in Museen, Kinos
- Hilfen, um am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben teilnehmen zu können
- Bevorzugung bei der Abfertigung bei Behörden
Diese Nachteilsausgleiche sind abhängig von der Art der Behinderung (z. B. Gehbehinderung oder psychische Behinderung) und dem Grad der Behinderung (GdB). Beispielsweise genießen den Sonderkündigungsschutz nur Arbeitnehmende mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50.
Ein Behindertenstatus mit einem krankheitsbedingten Kündigungsschutz oder einer Woche Sonderurlaub im Jahr kann Betroffenen helfen, im Job zu bleiben. Sie können sich Auszeiten nehmen, ohne gestresst zu sein oder Angst davor zu haben, den Arbeitsplatz zu verlieren. Es lohnt sich, den GdB zu beantragen. Gerade, wenn du durch deine Erkrankung finanziell beeinträchtigt bist oder Angst hast, wegen erhöhter Fehlzeiten deine Arbeitsstelle zu verlieren.
Erfolgsgeschichten
Mehr als 30.000 Menschen haben bereits zanadio genutzt. Hier berichten Nutzer:innen, wie sie erfolgreich abgenommen haben und sich ihr Leben dank zanadio verändert hat.
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Worauf sollte man bei der Antragstellung achten?
Die Antragstellung unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland. Den Antrag kannst du jedoch meist online beim Versorgungsamt deiner Gemeinde oder Stadt stellen. Soziale Dienste von Reha-Einrichtungen oder Kliniken, Sozialverbände wie der VdK oder der Sozialverband Deutschlands sowie Schwerbehindertenvertretungen können dir bei der Beantragung helfen und beratend zur Seite stehen.
10 Tipps zur Antragsstellung
- Fülle den Antrag gründlich und umfassend aus. Je mehr Informationen, desto höher stehen die Chancen auf Bewilligung.
- Gib neben der Haupterkrankung unbedingt alle Begleit- oder Folge-Erkrankungen an und nummeriere die Erkrankungen durch, damit du sie später nicht wieder neu auflisten musst.
- Lege ein besonderes Augenmerk auf die Beschreibung der mit den Erkrankungen einhergehenden Einschränkungen im Alltag und Beruf. Diese sind ausschlaggebend für die Höhe des GdB.
- Trage eventuell bereits die von dir gewünschten Merkzeichen ein.
- Gehe regelmäßig zu Arztterminen: Bist du mit deiner Adipositas nie bei Ärzt:innen gewesen, verkompliziert das deine Antragstellung.
- Informiere behandelnde Ärzt:innen über die Antragstellung. Bitte sie, dich dabei zu unterstützen, indem sie Arztbriefe ausführlich mit allen Diagnosen verfassen.
- Gib die Namen und Kontaktdaten deiner behandelnden Arztpraxen und Kliniken an, damit Gutachter:innen weitere medizinische Auskünfte einholen können.
- Lege die Kopien der Arztbriefe dem Antrag bei.
- Lege dem Antrag zudem ein Lichtbild für den Schwerbehindertenausweis bei.
- Speichere dir eine Kopie des fertigen Antrags. So weißt du, welche Informationen bereits eingereicht sind und kannst dich im Notfall darauf beziehen.
Stelle dich auf Wartezeiten ein. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit eines Erstantrags liegt je nach Versorgungsamt bei mehreren Monaten. Es kann sein, dass du anfänglich einen niedrigen GdB erhältst. Es ergibt häufig Sinn, innerhalb der Widerspruchsfrist Widerspruch einzulegen. Hier hilft dir die Kopie des Antrags. Informiere dich, was dir zusteht und begründe es stichhaltig in der Antragsstellung (persönlich und mit Nachweisen).
Kann ich den GdB bei Adipositas auch rückwirkend beantragen?
Wenn es dafür einen bestimmten Grund gibt und du entsprechende Nachweise (z. B. Arztberichte) hast, kannst du den GdB auch rückwirkend beantragen. Gründe dafür könnten z. B. die rückwirkende Gewährung von Nachteilsausgleichen z. B. des Kündigungsschutzes oder der Ermäßigung von Steuern oder des Rundfunkbeitrags sein.
Sollte sich dein Zustand verschlechtern, kannst du einen höheren GdB beantragen. Ebenso stehst du in der Pflicht, der zuständigen Behörde Verbesserungen deines Zustands mitzuteilen.
Schwerbehinderte einstellen: Vorteile für Unternehmen
Auch für Unternehmen hat die Einstellung einer Person mit Behindertenstatus Vorteile. Sie können einerseits Fördermöglichkeiten, wie z. B. Zuschüsse durch die jeweiligen Integrationsämter (wenn der Behinderungsgrad mindestens 50 beträgt) oder Fördermittel durch die Bundesagentur für Arbeit beantragen. Für die Dauer von bis zu zwei Jahren kann das Unternehmen zudem einen Eingliederungszuschuss zum Gehalt (bis zu 70 % des Gehalts) erhalten [5].
Arbeitgeber:innen müssen ab einer Mitarbeiterzahl von 20 Personen einen bestimmten Anteil schwerbehinderter Personen beschäftigen oder eine Ausgleichsabgabe zahlen.
Soll der Person mit einer Schwerbehinderung gekündigt werden, muss das Integrationsamt zustimmen. Es prüft, ob der Kündigungsgrund krankheitsunabhängig ist [5].
Zusammengefasst
Die Beantragung eines Behindertenstatus kann für Adipositas-Betroffene mit starken gesundheitlichen Einschränkungen sinnvoll sein. Ob du einen Grad der Behinderung erhältst, hängt von verschiedenen Faktoren ab, z. B. dem Schweregrad der Adipositas sowie den Begleit- und Folgeerkrankungen und deren Auswirkungen auf die Gesundheit und Psyche sowie der Fähigkeit, alltägliche Arbeiten auszuführen oder am Arbeitsalltag teilzunehmen.
Vorteile eines GdB (Grad der Behinderung) sind die Nachteilsausgleiche wie Sonderurlaub, Steuervergünstigungen etc. Auch auf Unternehmensseite gibt es Fördermöglichkeiten und Vorteile bei der Einstellung von Menschen mit Behinderung.
Besonders wenn du finanziell durch deine Erkrankung beeinträchtigt bist oder dir deine vielen Fehlzeiten Stress bereiten und du Angst hast dadurch deinen Arbeitsplatz zu verlieren, ist die Beantragung des Behindertenstatus eine gute Möglichkeit. Der Behindertenstatus kann dir helfen, eine bessere Selbstfürsorge zu betreiben.
Quellen
[1] Europäischer Gerichtshofs – EuGH (2014): PRESSEMITTEILUNG Nr. 183 /14: Adipositas kann eine „Behinderung“ im Sinne der Richtlinie über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sein. In:
https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2014-12/cp140183de.pdf (letzter Aufruf: 21.03.2023)
[2] Papadopoulou, E. für die Deutsche Vereinigung für Rehabilitation – DVfR (2015):
Kann Adipositas eine Behinderung darstellen? Anmerkung zu EuGH, Urteil v. 18.12.2014 – C 354/13. In: https://www.reha-recht.de/fileadmin/user_upload/RehaRecht/Diskussionsforen/Forum_B/2015/B9-2015_Kann_Adipositas_eine_Behinderung_darstellen.pdf (letzter Aufruf: 30.03.2023)
[4] SGB IX – Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (2016): Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Artikel 1 des Gesetzes vom 23.12.2016. In: https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/index.html#BJNR323410016BJNE000300000 (letzter Aufruf: 30.03.2023)
[3] SGB IX – Neuntes Buch Sozialgesetzbuch – § 2 (2016a): Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Artikel 1 des Gesetzes vom 23.12.2016, BGBI. I S.3234 § 2 Begriffsbestimmungen. In: https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/__2.html (letzter Aufruf: 30.03.2023)
[5] Wolf, D. (2019). “Behinderte Mitarbeiter einstellen. Die Vorteile für Arbeitgeber.” In: https://www.business-wissen.de/artikel/behinderte-mitarbeiter-einstellen-die-vorteile-fuer-arbeitgeber/ (letzter Aufruf: 20.03.20)